Rechtsstreit  Neues Deutschland        S.2 Montag, 4.September 2000

 

Peter-Michael Diestel. Er macht im ND »Herrn Gauck seine Vergangenheit nicht zum Vorwurf«. Er sage nur, »dass der eine identische oder womöglich bedenklichere Vergangenheit hat als Menschen, die wegen einer vergleichbaren Berührung mit dem MfS aus dem öffentlichen Dienst oder gar in den Selbstmord getrieben wurden.

ND-Fotos: Burkhard Lange

Ließ sich Pfarrer Gauck vom MfS begünstigen?

Der Stasi-Unterlagen-Chef bestreitet gefährliche Nähe - Rechtsanwalt Peter Michael Diestel belegt sie. Einer legt falsch Zeugnis ab ...

Von René Heilig

Zehn Jahre war Joachim Gauck als Bundesbeauftragter für die Auswertung des MfS-Akten-Erbes zuständig. Und fast ebenso lang streitet er ab, selbst diesem DDR-Geheimdienst zu nahe gestanden zu haben. Nun neigen sich Amtszeit und der Streit über eine ostdeutsche Polit-Biografie dem Ende.

Die Frage, war er oder war er nicht ... beschäftigt derzeit zwei Landgerichte. Das in Rostock wurde von Gauck in Gang gesetzt, nachdem der Potsdamer Rechtsanwalt und ehemalige DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel dem einstigen Rostocker Pfarrer vorgeworfen hatte, ein »Begünstigter« des MfS gewesen zu sein. Zu lesen war das so in einem ND-Interview, das wir am 27. Mai 2000 veröffentlicht haben. (Faksi)

Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte legte eine eidesstattliche Versicherung vor, nach der er vom »Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR in keiner Weise gefördert worden« ist. Er behauptet weiter, dass ihm vom MfS »keine beruflichen oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteile verschafft worden« seien.

Das Rostocker Gericht nickte am 19. Juni. (Az.3 0 245/00) Ohne mündliche Verhandlung wollte es Diestel einen Maulkorb verpassen. Der jedoch wehrte sich. Ein erster Verhandlungstermin wurde in der vergangenen Woche - wohl weil Gauck Terminschwierigkeiten geltend machte verschoben. Diestel indessen bemühte derweil das in Pressesachen durchaus erfahrene Hamburger Landgericht.

Vor beiden Kammern will er zunächst einmal das verbriefte Recht zur freien Meinungsäußerung erstreiten. Freie Meinungsäußerung finde ihre Grenze erst dort, wo drastische Kritik in bewusste Schmähung umschlägt, wenn also die Absicht zu verletzen stärker hervortritt, als die Absicht, seine Meinung zu äußern.

Diestel wollte sich zu beiden Verfahren nicht äußern. Am Rande des Strausberger Friedensfestes erklärte er am Samstag lediglich, dass es ihm nicht darum gehe, Gauck zu schmähen. Aber er kritisiere den ungleichen Umgang mit DDR-Bürgern, die in welcher Art auch immer Berührung mit der DDR-Staatssicherheit hatten. Gegenwärtig vertrete er einen Klienten aus Dresden. Die Stadt wolle sein völlig normal gelaufenes Grundstücksgeschäft annullieren. Als Begründung reiche es scheinbar, dass der Mann irgendwann in den 70er Jahren IM gewesen sei. Eine schlimme Entwicklung, die in Deutschland nur an noch schlimmere Zeiten erinnert, sagt Diestel. Schon deshalb beherrsche der Streit mit Gauck nicht sein gesamtes Arbeitspensum als Rechtsanwalt.

Doch Diestel fährt offenbar nicht nur allgemeine presserechtliche Argumente in die Abwehr der Gauck-Verfügung ein. Unter den von ihm aufgebotenen Zeugen befinden sich fünf ehemalige MfS-Offiziere sowie Rechtsanwalt Schnur, der als Inoffizieller Mitarbeiter »bestens konnte« mit den DDR-Staatsschützern.

Zeuge Wolfram P., Mitarbeiter der Rostocker Kreisdienststelle, erinnert sich an zwei Kontaktgespräche, die 1986/87 in Gaucks Wohnung stattfanden. Es sei um die Einschränkung von Gaucks politischer Tätigkeiten unter dem Dach der Kirche gegangen. Der Zeuge meint, der Herr Pfarrer habe den Eindruck vermittelt, er sei bei Erwartung von Vorteilen in eigener Sache gesprächsbereit. Dabei ist es durchaus denkbar, dass das MfS keine Schleife mit Visitenkarte an dem aus dem Westen importierten VW-Transporter anbrachte, der schon bald vor Gaucks Kirchtür stand.

Wolfgang Schnur, zu DDR-Endzeiten Mitbegründer des »Demokratischen Aufbruchs«, dem Jahre später seine verpflichtete Nähe zum MfS auf die Füße gefallen war, meldet sich ebenfalls als Zeuge. Ihm will Gauck, so behauptet der 60-jährige Ex-Pfarrer, kein Mandat in Sachen Kinderausreise erteilt haben. Schnur jedoch erinnert sich anders und widerspricht an Eides statt. So erklärt er ohne Selbstzweifel, »dass mir Herr Gauck ein eindeutiges Mandat erteilt hat, notwendige Gespräche mit sämtlichen Behörden und Dienststellen der DDR zu führen, die für die Ausreise seiner Kinder notwendig waren«. Dieser Wunsch wurde nicht zwischen Tür und Angel besprochen, sondern Gauck soll sich dazu direkt ins Büro des Rostocker Anwaltes bemüht haben. Gauck und Schnur kannten sich gut, der Anwalt hatte den Pfarrer bereits 1985 in einer Grundstückssache vertreten.

Mit wem vor allem zu sprechen war, dass konnte DDR-Bürger Gauck auch bei größter Blauäugigkeit nicht entgangen sein. Dass die Erlaubnis zur Wiedereinreise von Gaucks Kindern in die DDR mit Unterstützung von Schnur und Förderung durch das MfS erging, müsste Vater Gauck eigentlich bekannt sein, behauptet ein weiterer von Diestels Zeugen, der sich nach eigenem Bekunden mit Gauck getroffen hat, um diese »Wiedereinreiseangelegenheit« zu besprechen.

Der Streit - vor- und ausgetragen von Gauck und Diestel - geht nun vermutlich in seine letzte Runde. Der Gerichtstermin in Rostock könnte am 14. September sein, der Hamburger ist auf den 13. Oktober terminiert. Zehn Tage zuvor wird Gauck dann Abschied vom Amte des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen genommen haben.

Joachim Gauck. Er ließ - laut »Spiegel« - seine Opferakte freigeben. Laut »Focus« hat er jedoch Probleme mit einer Biografie. Strittig seien Passagen über ein psychiatrisches Gutachten von 1964, das dem damaligen Studenten eine »abnorme Persönlichkeit« zuschreibt, die zur »mangelhaften Willensbildung« neige.

Aber Herr Gauck ist in klassischer Weise - und diesen Begriff gibt es im Gesetz - ein Begünstigter durch die Staatssicherheit. Er hat das seltene Privileg genossen, dass er mit Unterstützung eines Stasi-Anwalts, des allseits bekannten Anwaltes Wolfgang Schnur, seine Kinder in den Westen reisen lassen konnte. Herr Gauck durfte erleben, dass seine Kinder, nachdem sie mit Unterstützung der Stasi ausreisen durften, auch wieder einreisen konnten. Vergleichbares gibt es nur selten.

* * * * * * * * * * * * * * * * *